Wenn Regulierung endet – beginnt Entwicklung
- Sabine Ilger

- 22. Okt.
- 3 Min. Lesezeit
Warum strategische Zukunftsfähigkeit mehr braucht als Berichtspflicht
Die EU plant, die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung deutlich einzuschränken.
Der aktuelle CSRD-Omnibus-Vorschlag sieht vor, dass künftig nur noch Unternehmen mit mehr als 1 000 Mitarbeitenden und 450 Millionen Euro Umsatz berichten müssen.
Viele kleinere und mittlere Unternehmen könnten sich also zurücklehnen. Doch das wäre ein Irrtum.
Denn Regulierung mag zurückgehen – aber die Transformation geht weiter.
Klimakrise, Digitalisierung, Ressourcenknappheit und gesellschaftlicher Wandel verändern die Spielregeln der Wirtschaft grundlegend.
Die eigentliche Frage lautet also nicht: Wer muss berichten?
Sondern: Wer nutzt Nachhaltigkeit, um sich strategisch weiterzuentwickeln?
Nachhaltigkeit ist längst kein Berichtsthema mehr. Sie ist zu einem zentralen Bestandteil unternehmerischer Steuerung geworden – weil sie aufzeigt, wo Organisationen lernen, sich anpassen und Zukunft gestalten können.
Transformation passiert – auch ohne Pflicht
Klimawandel, geopolitische Spannungen, Fachkräftemangel und technologische Umbrüche verändern die Rahmenbedingungen von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Systeme, auf denen unser Wohlstand jahrzehntelang aufgebaut war, verschieben sich fundamental.
Energie, Mobilität, Industrie, Ernährung, Finanzmärkte – kein Sektor bleibt unberührt. Die entscheidende Frage lautet daher: Wer versteht, was sich verändert – und richtet seine Strategie darauf aus?
Denn was sich verändert, ist mehr als Regulierung. Es ist die Logik von Wirtschaft und Fortschritt.
Unternehmen, die Transformation strategisch begreifen, sehen darin keine Belastung, sondern eine Chance, ihre Organisation, Prozesse und Geschäftsmodelle neu auszurichten.
Ein Blick in die Schweiz: Verantwortung als Innovationsmotor
In einem Artikel in der Presse („Was Österreich von der Schweiz lernen könnte“) beschreiben Reinhold W. Lang und Stefan P. Schleicher, wie die Schweiz mit dem neuen Klima- und Innovationsgesetz (KIG) einen radikal anderen Weg einschlägt.
Statt starrer Emissionsziele setzt die Schweiz auf Roadmaps, Innovationsförderung und Eigenverantwortung. Unternehmen, die ihren Transformationspfad offenlegen, erhalten Förderungen. Wer Fortschritt belegt, bekommt Unterstützung.
Das ist mehr als Politik – es ist ein Kulturwandel: Transparenz wird belohnt, nicht bestraft. Offenheit wird zur Voraussetzung für Vertrauen.
Und Vertrauen ist die Grundlage jeder Transformation – in Organisationen, in Volkswirtschaften, in Gesellschaften.
Technologie als Treiber der strategischen Weiterentwicklung
Während politische Systeme noch nach dem richtigen Rahmen suchen, entsteht der eigentliche Wandel längst durch Technologie.
Technologische Innovationen sind nicht nur der Schlüssel zur Klimaneutralität –sie sind der größte Hebel für Wettbewerbsfähigkeit und Organisationsentwicklung.
Studien von McKinsey, BCG und Capgemini zeigen: Unternehmen, die KI, IoT, Datenplattformen oder Kreislauftechnologien gezielt einsetzen, steigern nicht nur ihre Effizienz, sondern schaffen neue Wertschöpfung und Innovationsdynamik.
Technologie ermöglicht Transparenz, beschleunigt Lernprozesse und verknüpft ökologische mit ökonomischen Zielen. Sie wird damit zum strategischen Instrument, um Zukunftsfähigkeit messbar zu machen.
Vom Bericht zur strategischen Haltung
Der Nachhaltigkeitsbericht ist nur ein Werkzeug –entscheidend ist die Haltung, mit der er genutzt wird.
In meiner Arbeit sehe ich immer wieder:
Unternehmen, die Transparenz als Belastung begreifen, reagieren auf Veränderungen.
Unternehmen, die Transparenz als Lernsystem verstehen, entwickeln sich weiter.
Der Bericht zwingt zur Reflexion, zu Prioritäten, zu Entscheidungen. Er macht sichtbar, wo das Unternehmen steht, und schafft die Grundlage, Strategie und operative Umsetzung systematisch zu verbinden.
Wenn die Berichtspflicht wegfällt, fällt also nicht die Verantwortung. Im Gegenteil: Sie wird persönlicher, unternehmerischer – und damit strategischer.
Technologischer Vorsprung entsteht durch Haltung – nicht durch Größe
Auch wenn viele KMU künftig keine Berichte mehr veröffentlichen müssen, werden sie sich trotzdem positionieren müssen – zu Energie, Ressourcen, Daten, Verantwortung.
Denn strategische Stärke entsteht nicht automatisch durch Kapital, sondern durch Offenheit, Lernfähigkeit und Anpassungskompetenz.
Viele Unternehmen unterschätzen die Geschwindigkeit, mit der neue Technologien Märkte verschieben: Künstliche Intelligenz, grüne Energie, biobasierte Materialien, kreislauffähige Produktionssysteme –sie verändern ganze Wertschöpfungsketten.
Wer heute glaubt, sich diesen Fragen entziehen zu können, verliert morgen den Anschluss. Strategische Weiterentwicklung heißt, vor der Welle zu lernen – nicht erst, wenn sie bricht.
Transformation als gemeinsame Aufgabe
Transformation ist kein Unternehmensprojekt. Sie ist eine gesamtgesellschaftliche Bewegung.
Politik kann sie fördern. Technologie kann sie beschleunigen. Aber gestalten müssen sie Menschen – in Unternehmen, Gemeinden, Institutionen.
Deshalb braucht es jetzt mehr denn je einen Möglichkeitssinn: die Bereitschaft, in Chancen zu denken, nicht in Pflichten.
Wie es Robert Musil formulierte:
„Wenn es einen Wirklichkeitssinn gibt, muss es auch einen Möglichkeitssinn geben.“
Fazit: Zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit
Die Berichtspflicht mag für viele Unternehmen wegfallen. Doch die Realität von Klimawandel, Energieabhängigkeit und gesellschaftlichem Wandel bleibt.
Die Zukunft wird nicht durch Regulierung entschieden, sondern durch die Fähigkeit, Veränderungen zu verstehen und strategisch zu gestalten.
Nachhaltigkeit ist damit kein Berichtsthema –sie ist eine Führungsaufgabe, eine Managementdisziplin und eine strategische Investition in Zukunftsfähigkeit.
Sabine Ilger, Unternehmensberaterin für Controlling, Nachhaltigkeitsberichterstattung & Managementsysteme
Sustainable Transformers – Perspektiven für eine nachhaltige Wirtschaft


